Als ich noch klein war lebte ein Mann, der viel gelernt hatte und noch mehr Ideen sein Eigen nennen konnte. Jeden Abend, wenn wir zu Bett gingen, erzählte er uns Geschichten von der Arbeit und was er den langen Tag über alles erlebt hatte. So vergingen die Jahre der Arbeit für andere und er beschloss nach fast einem Jahrzehnt, sein Glück mit eigenem Tun zu versuchen, um die vielen gewachsenen Gedanken Wirklichkeit werden zu lassen. Zu dieser Zeit kam er eines Tages mit einer kleinen goldenen Kugel nach Hause und als diese in seinen großen Händen in kreisenden Bewegungen rollend zu klingen begann, fingen unsere Augen, vom feinen Klang des Glockenspiels verzaubert, hell an zu leuchten. Dieses Leuchten wird es gewesen sein, was ihn dazu bewogen hat, genau solch eine Kugel neu zu erschaffen. Man kann sich unser Erstaunen vorstellen, wie es nach nur einer Nacht sein konnte, da es nun zwei dieser wundersamen Kugeln gab. Wir waren wie verzaubert. Es dauerte nicht lang und der Zauber griff wie ein Lauffeuer um sich und bald schon wurde gefragt, ob es nicht noch weitere dieser Märchenkugeln gäbe und ob man diese nicht auch in fernen Ländern bekommen könnte. So entstand mit einigen Helfern die erste Kugelwerkstatt in Kiel. Noch nicht genug vom Wissen, begab sich dieser Mann erneut auf die Suche nach Neuem und erlernte die Feinmechanik und deren Möglichkeiten, mit ihr besondere Maschinen für besondere Gegenstände zu entwickeln. So gab es bald die Märchenkugeln in drei Größen und in verschiedenen Materialien. Ihr Klang wurde mit jeder Neuerung bezaubernder und teilweise wurden sie sogar einzeln in jedem Ton gestimmt. Begeistert von der Idee seinen Lebenstraum verwirklichen zu können, versuchte er die Arbeit als Vergnügen zu betrachten und auf spielerische Art Neues entstehen zu lassen. Es entstanden viel schöne Dinge und nicht selten waren es edle Hölzer, die einen wichtigen Bestand daran hatten. Es wurden wundervolle Dosen in einfacher, schlichter Eleganz geformt und kleine Kreisel, deren langer Lauf und ruhiger Stand nicht häufig genug hervorgehoben werden konnte. „Wenn man etwas Neues erfindet“, sagte er einst mit einem Augenzwinkern zu mir, „ist es ein besonderes Vergnügen zu sehen, wie andere versuchen es zu ergründen“. So stand er eines Tages vor mir und fragte mich, ein Holzdöschen haltend, ob ich mir diese wundersame Verschmelzung der beiden unterschiedlichen Hölzer erklären könne. Ich schaute lange und sehr sehr genau, doch es fiel mir nichts zu dieser eigentlich technisch nicht zu lösenden Lösung ein. So verriet er mir dann, dass es ein Zwerg gewesen war, der ihm beim Arbeiten einen Tipp gegeben hatte. Er sagte mir, dass er ihn mit in sein Reich zwischen Moosen,
Baumwurzeln und Erde nahm, um ihn an der Hochzeit zweier Völker teilhaben zu lassen. Da die Zwergenprinzessin nun am liebsten den Erdbeerkuchen hatte und der Prinz nichts mehr als Schokoladenkuchen liebte, wurden zwei gewaltige Torten gebacken. Eine schöner als die andere. Und eine jede wurde in gleich große, wie auch gleich- zahlige Stücke geteilt und abwechselnd wieder zusammen geschoben. So entstand die symbolische Vereinigung dieser beiden Völker. Und da es nun mal Zwergenart sein soll, alles in Perfektion zu erschaffen, war es auch nicht weiter verwunderlich, dass ein jedes Tortenstück haarfein bis ins Zentrum geschnitten war und ein jedes einzeln für sich dennoch hätte gerade stehen können. Gebannt von der Geschichte hatte ich vergessen, wie es wirklich gewesen sein konnte, eine solche Arbeit zu erstellen. Es hatte ein- fach an Bedeutung verlohren. „Grabe unter einem Baum und Du wirst einen Schatz finden! Dieses ist meine neueste und wohl auch kürzeste Geschichte, die ich mir ausgedacht habe.“ Fragend sah ich ihn an und wollte natürlich nur zu gerne wissen, was es mit diesen alten und eigentlich nicht von ihm erdachten Worten auf sich hatte. Er reichte mir einen Pfennig und bat mich, doch sehr genau zu schauen, ob mir nicht etwas ungewöhnlich vorkomme. Ich schaute und suchte und gab ihm den selbigen zögerlich verneinend zurück. Er nahm ihn lächelnd und wiederholte seine Worte mit Nachdruck: „Schau mal hier, der Baum und dort seine Wurzeln.“ Sein Blick war auf die Rückseite des Pfennigs gerichtet und nach einigem Hin und Her seines Fingernagels unter der „Wurzel“, zerfiel der Pfennig in zwei Teile. In seinem Inneren lagen zwei kleine Blättchen weißen Papieres und dazwischen ein in Herzform geschnittenes Rosenblütenblatt. „Hier könnten Worte des Glücks stehen. - Gibt es einen größeren Schatz, der doch selbst so klein ist?“ Mit einem kräftigen Daumendruck und einem satten „Klack“ schloss sich der Pfennig und verbarg wieder nahezu unsichtbar sein Geheimnis. So entstanden schier unzählige Arbeiten und über vierzig Geschichten meines Vaters. Diese wiederum veränderten sich. Sie wurden länger, teilweise auch ganz anders und die Art des Erzählens reifte zu einer Kunst, die bald schon ebenso gefragt war, wie seine Arbeiten selbst. So reiste er viele Jahre zu den Menschen, berichtete von seinen Welten und verzauberte sie mit seinen einmaligen Worten und Arbeiten.
Nun schwinden diese Geschichten mit seinem Fortgehen wieder und zurück bleiben seine kunstvollen Werke und unsere Erinner- ungen an ihn und seine Wunderwelt. Mit Wehmut im Herzen und Trauer in der Brust müssen wir Abschied von ihm nehmen und es geht mit ihm ein einzigartiger Teil dieser Welt für immer verloren.